Dienstag, 20. Januar 2015

Stille im Auge des Sturmes



Ist alles ruhig, fühle ich mich großartig. Das Leben plätschert so dahin, die Familie ist gesund, das Studio läuft. In diesen Momenten bin ich überzeugt, dass mich Yoga und die Meditation tiefenentspannen und ich auf dem Weg gut vorankomme. 

Aber wehe, wenn sich plötzlich und wie immer unerwartet ein Sturm zusammenbraut! Gerade war es wieder soweit. Ein freier Abend, nur wir zwei, sogar ohne Kind. Die Kerze ist an, das Essen steht auf dem Tisch… Und dann: ist von einem Augenblick zum nächsten alles anders. Unser Hund August windet sich vor Schmerz, spuckt und wimmert. Alle Anzeichen deuten auf eine Magendrehung hin. Davon hatte er schon zwei. Eine dritte Not-OP – das wäre sein Ende.
Nach fünf Minuten sind Herr und Hund auf dem Weg zum Tierarzt – und ich allein in der verwaisten Küche. Ich laufe hin und her, gucke aufs Telefon, setze mich, stehe wieder auf, schaue aus dem Fenster, sehe nur Dunkelheit. Ohne es zu merken beginne ich diesen sinnlosen Ablauf immer wieder von neuem und lasse mich komplett von meinen Gedanken mitreißen: Werde ich mich noch verabschieden können oder wird er es nicht einmal bis in die Klinik schaffen? Wo werden wir ihn begraben? Ach, war das schön, als August noch ein Welpe war! Wie wird unser Leben sein ohne diesen ewig schnarchenden Riesen?

Mein Kino im Kopf macht die Angst immer größer. Und das Selbst-Mitleid auch. Ich fühle mich einfach nur jämmerlich. Trotzdem ist da noch Platz für einen einzigen hellen Gedanken: Verdammt noch mal! Setz Dich endlich auf dein Kissen und beobachte, was in deinem Hirn passiert! 

Meditation macht den Kopf leer? Was für ein Quatsch! Meine Gedanken rattern und rennen. Aber etwas Wesentliches ist anders: Ich rattere und renne nicht mit. Stattdessen spüre ich den Atem und entscheide mich bewusst, ein Zuschauer meines eigenen Films zu bleiben. Das ist einfach, aber keineswegs leicht. Und doch ist es das Beste, was mir je im Auge eines Sturmes eingefallen ist. Ich werde ganz ruhig und fühle, dass jedes Hirngespinst kommt und auch wieder geht. Egal, was da aufploppt, es hat hier und jetzt nichts mit meiner Realität zu tun. Denn da sitze ich und atme.

30 Minuten später der Anruf: August geht’s gut. Sein Magen war nicht verdreht, nur verstimmt. Egal, wie sanft das Leben plätschert. Ich werde auch in Zukunft sitzen und atmen. Denn der nächste Sturm kommt bestimmt.

Martha lächelt dem Tod ins Gesicht




Den Tod können wir gut ertragen - solange er noch weit genug weg ist. Sterben tun nur die anderen. Wir kennen uns aus: Heftige Bilder gibt es im Fernsehen schließlich genug. Und außerdem haben wir ja noch unendlich viel Zeit...

Ich bin aufgewacht, als mein Vater starb. Plötzlich hat die Vergänglichkeit mir ihre eisige Hand gereicht. Ich war wie paralysiert. Und ehrlich gesagt, in dieser Angststarre war ich niemandem eine Unterstützung. 


Deswegen sitze ich heute, einige Jahre später, in einem buddhistischen Seminar über den Tod. Neben mir eine junge, attraktive Frau mit schwarzer Strickmütze. 34 Jahre alt. Ich Lächeln ist unendlich lebendig. Ihr Körper: dem Ende ganz nah. Martha hat Krebs, der inzwischen bis in die Leber streut. Es geht nicht mehr um Heilung, nur noch um Lebensverlängerung. Und trotzdem ist da keine Spur von Angst, keine Verzweiflung. Dafür Vertrauen und eine bedingungslose Freundlichkeit, dem eigenen, immer schwächer werdenden Körper gegenüber. Die Meditation ist ihr Weg durch den Schmerz. Den Atem beobachten, hinschauen, die destruktiven Gedanken vorm inneren Auge sehen, aber nicht einsteigen. Nicht zulassen, dass der Geist die restliche kurze Lebenszeit zur Hölle macht.
Jeden Tag trainiert sie, die Dinge so zu akzeptieren wie sie sind. Warum? Weil sie das Leben liebt. Sie sagt, das Schlimmste sei, wenn die Leute ihr rieten, sie solle kämpfen. "Gegen wen soll ich denn in die Schlacht ziehen? Gegen meinen eigenen Körper?" Stattdessen will sie jeden Tag, der ihr noch bleibt, so bewusst wie möglich erleben. Ohne allem eine Bewertung drüber zu stülpen - gut oder schlecht, falsch oder richtig, gerecht oder ungerecht. 


Martha hat verstanden, was wir noch verdrängen: Nichts dauert ewig. Unser Körper ist ein Hotel, aus dem wir einmal wieder werden ausziehen müssen. Manche früher, andere später. So wie jede Blume welkt und jeder noch so stabile Baum irgendwann dem Sturm zum Opfer fällt. Martha, danke, dass Du da bist! Dein Lächeln ist mir die wichtigste Lektion!
www.mandalayoga.de