Dienstag, 17. Juli 2018

Wahre Liebe - der Versuch einer Begriffsbestimmung



Wann habe ich eigentlich das erste Mal wirklich an meinem Konzept von Liebe gezweifelt? Ganz sicher da, als mir mein altes Leben ganz plötzlich um die Ohren flog und ich zum ersten Mal spürte, was Vergänglichkeit bedeutet. Aber obwohl ich erfuhr, dass Liebe weder ewige Sicherheit gibt, geschweige denn, dass ihre Aufgabe ist, mich dauerhaft in meinem Selbstwert zu bestätigen, brauchte es doch noch etwas länger bis die Botschaft ankam. Die Idee, dass Liebe etwas ist, das uns eines Tages zufällig zufliegt und dann auch noch gerne bei uns bleibt, während wir keinen Finger für sie krummmachen, war doch einfach zu bequem!

Wie diese Art von Passivität uns direkt in eine Opferrolle hineinkatapultiert, beschreibt die US-amerikanische Meditationslehrerin Sharon Salzberg wundervoll  in ihrem Essay „Wahre Liebe“: „Ich stellte mir die Liebe quasi wie ein Paket vor, dass in den Händen eines sehr mächtigen Postboten lag; sollte diese Person es sich an meiner Türschwelle anders überlegen und kehrtmachen, wäre ich ihrer beraubt – hoffnungslos unvollständig ohne die Liebe, nach der ich mich so sehnte.“*


Wenn wir in der Liebe immer auf der Suche nach Bestätigung sind, dann werden wir enttäuscht  


und so ängstlich, dass wir irgendwann gar nicht mehr erblühen.


Wie sehr wir uns im Alltag verstecken hinter unserer Angst vor Zurückweisung und Enttäuschung, blitzte bei mir zum ersten Mal während unseres vergangenen Bali-Retreats auf. Zehn Tage lang übten wir gemeinsam die Meditation der liebevollen Güte (maitri, sanskrit oder metta, pali). Wir kümmerten uns dabei in den ersten Tagen ausschließlich um uns selbst, bewegten für uns elementare Sätze im Geist wie: „Möge ich glücklich sein!“ oder „Möge ich gesund sein!“

Warum diese Nabelschau? Weil da wo kein liebevoller Umgang mit uns selbst möglich ist, die Liebe zu anderen nur eine gut gemeinte, aber hohle Phrase bleibt. Dann verstecken wir das Geschenk unserer Liebe entweder ängstlich vor den anderen. Oder aber wir erschöpfen uns komplett im Geben. Und wenn wir ganz ehrlich zu uns selbst sind, stellen wir dabei dann meistens sogar noch Bedingungen. Unsere aufopfernde Fürsorge sollte doch mindestens gleichwertig wenn nicht noch großartiger zu uns zurückfließen!  

Es braucht in unserem Inneren Stärke und Stabilität, um Liebe tatsächlich zu dem zu machen, was sie von ihrem Wesen her ist: unabhängig (von Bestätigung) und frei (von Bedingungen). In der maitri-Meditation wird genau das geübt: Genährt von der Zuwendung zu uns selbst, sind wir in der Lage, Liebe zu verschenken – an unsere Freunde, an uns unbekannte Wesen und ja, auch an unsere Feinde. Dabei geht es nicht darum, alles gut zu heißen oder zu entschuldigen, was in der Vergangenheit passiert ist. Vielmehr ist es eine grundlegende und den eigenen Groll befriedende Einsicht, dass es keine friedliche Koexistenz von Hass und Liebe geben kann.

Für mich wird immer klarer, dass die Entscheidungshoheit in Sachen Liebe allein bei mir liegt. Ja, das Außen bleibt ein Leben lang ein unsicherer Kandidat. Liebe kann entzogen werden, mit einem nahen Menschen versterben oder wird aus Angst gar nicht erst verschenkt. Aber im Umgang mit diesen Situationen habe ich immer die Wahl: Ich kann mich verletzt abwenden, mein Herz dichtmachen. Oder ich trainiere mutig immer weiter, in der Offenheit zu bleiben. Hier ein aufmunterndes Wort für die gestresste Verkäuferin im Supermarkt. Da eine notwendige Kritik, die ganz ohne Verletzung auskommt. Und manchmal ein erforderlicher Rückzug, weil ich mich mit allem anderen überfordern würde.
Die gute Nachricht: Unsere Grenzen verschieben sich in kürzester Zeit. Die schlechte: Ohne eigenen Einsatz, sprich: Meditation, geht es nicht. Sonst übernimmt immer wieder der Anteil in uns, der für seine Taten ausgiebig gelobt werden möchte oder sich beleidigt zurückzieht.

Aber der Aufwand lohnt sich. Denn in der wahren Liebe sind wir selbstbewusst und unendlich frei.





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*Salzberg, Sharon: Wahre Liebe, in Buddhismus aktuell, 01/2018.

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